Klassische Literatur

Mrs. Dalloway

Woolf, Virginia

Manesse Verlag GmbH , 2022

Mrs. Dalloway

Der Meilenstein der literarischen Moderne in Neuübersetzung von Melanie Walz. Es ist ein besonderer Tag im Leben der zweiundfünfzigjährigen Clarissa Dalloway: Die Gattin eines Parlamentsabgeordneten will am Abend eine ihrer berühmten Upper-class-Partys geben. Der Tag vergeht mit Vorbereitungen, zufälligen Begegnungen mit Jugendfreunden, Konversation, nostalgischen Betrachtungen, Sinneseindrücken beim Flanieren. Ein besonderer Tag soll es – aus ganz anderen Gründen freilich – auch für Septimus Smith werden. Auch ihn, den Kriegsheimkehrer, beschäftigt die Gegenwärtigkeit des Vergangenen in jedem einzelnen Augenblick.In permanent sich wandelnden Empfindungen, Visionen und Assoziationen der Figuren entsteht ein faszinierendes Zeit- und Gesellschaftsbild Englands, rhythmisiert vom Stundenschlag des Big Ben. Romantische, nüchterne und satirische Stimmungslagen fließen ineinander, Melancholie und Contenance, tiefgründiger Witz und leise Wehmut durchziehen Virginia Woolfs Meisterwerk moderner Erzählkunst. Im Dezember 1924 notierte sie in ihr Tagebuch: «Ich glaube ganz ehrlich, dass dies der gelungenste meiner Romane ist.»

24,00  inkl. 7% MwSt.
Erscheinungsdatum 26.04.2022
Seitenanzahl 400
Verlag Manesse Verlag GmbH
Preis 24.00
ISBN 9783717525561

Jutta Person über das Buch
Im Kreuz und Quer der Gefühle: Virginia Woolf feiert den Krimskrams des Lebens

London, ein strahlend schöner Mittwoch im Juni 1923: Clarissa Dalloway bereitet eine Party vor, während der Kriegsveteran Septimus Warren Smith im Regent’s Park mit einem Toten spricht. Ein Flugzeug schreibt Reklamebotschaften in den Himmel; Big Ben zählt die Stunden; Snobs, Bettlerinnen, Ärzte und verlorene Seelen gehen ihren Geschäften nach. Peter Walsh, Clarissas alter Verehrer, lässt sich nachmittags durch die Stadt treiben. Abends springt Septimus aus dem Fenster, und bald darauf beginnt die Party bei den Dalloways. So stocknüchtern könnte man das Außen dieses multiperspektivischen Romans zusammenschrumpfen, der es vor allem auf die Innenseiten abgesehen hat, auf das, was seinem riesigen Figurenpanoptikum durch die Köpfe rauscht. Virginia Woolfs Mrs. Dalloway ist eine Bewusstseinserweiterungsmaschine, die aus der alten viktorianischen Welt einen Kosmos vib- rierender Empfindungen macht, modern bis in die Nervenspitzen.

In diesem Großstadtgespinst sind alle Wahrnehmungen kreuz und quer vernetzt – Schreckliches, Schönes und Komisches. Auch Dinge und Gefühle, vermeintlich Festes und vermeintlich Ungegenständliches, kommen einander so nah wie nie zuvor. Virginia Woolf feiert den »Krimskrams« des sogenannten Lebens, ohne es in seiner Kleinheit zu verniedlichen oder umgekehrt majestätisch aufzublasen. Die existenzielle Frage, die Mrs. Dalloway umtreibt, fließt ganz beiläufig ein: ob sie nicht besser Peter geheiratet hätte als Richard. Der, wie von fremden Mächten gezogen, nach Hause trabt: »Und wie ein einzelner Spinnenfaden sich an eine Blattspitze heftet, nachdem er hierhin und dorthin gestrebt hatte, heftete sich nun Richards Geist, aus seiner Lethargie erwacht, an Clarissa.«

London ist aber nicht nur ein Netz, sondern auch ein Meer, überragt von Big Ben, der alles mit seinen Glockenschlägen zum Schwingen bringt. In diesem Ozean tritt das alte Empire mit pompösen bis blasierten Kreaturen in Erscheinung; Lady Bradshaw, die Gattin des Nervenarztes, wirkt sogar »wie eine Robbe am Rand ihres Wasserbeckens, nach Einladungen bellend«. Bei aller Bizarrerie durchzieht ein hartnäckiges Glücksbegehren den Roman, gepaart mit Witz und Freundlichkeit. Virginia Woolf erweist sich als Meisterin von Schwingungen, die sich im Kleinen und im Großen fortsetzen, in Machtfragen genauso wie in Kleiderfragen. Vielleicht ist Mrs. Dalloway auch deshalb ein companion im englischen Ratgeberwortsinn: Der Roman hilft im Handumdrehen, wenn man sich erinnern will, was Literatur so alles kann.