Roman

Die Vegetarierin

Kang, Han

Aufbau Verlag GmbH & Co. KG , 2017

Die Vegetarierin

‘Die Vegetarierin ist ein Meisterwerk.’ Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Ein seltsam verstörendes, hypnotisierendes Buch über eine Frau, die laut ihrem Ehemann an Durchschnittlichkeit kaum zu übertreffen ist – bis sie eines Tages beschließt, kein Fleisch mehr zu essen. ‘Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie für nichts Besonderes. Bei unserer ersten Begegnung fand ich sie nicht einmal attraktiv. Mittelgroß, ein Topfschnitt, irgendwo zwischen kurz und lang, gelbliche unreine Haut, Schlupflider und dominante Wangenknochen. So fühlte ich mich weder von ihr angezogen noch abgestoßen und sah daher keinen Grund, sie nicht zu heiraten.’ Yong-Hye und ihr Ehemann sind ganz gewöhnliche Leute. Er geht beflissen seinem Bürojob nach und hegt keinerlei Ambitionen. Sie ist eine zwar leidenschaftslose, aber pflichtbewusste Hausfrau. Die angenehme Eintönigkeit ihrer Ehe wird jäh gefährdet, als Yeong-Hye beschließt, sich fortan ausschließlich vegetarisch zu ernähren und alle tierischen Produkte aus dem Haushalt entfernt. ‘Ich hatte einen Traum’, so ihre einzige Erklärung. Ein kleiner Akt der Unabhängigkeit, aber ein fataler, denn in einem Land wie Südkorea, in dem strenge soziale Normen herrschen, gilt der Vegetarismus als subversiv. Doch damit nicht genug. Bald nimmt Yeong-Hyes passive Rebellion immer groteskere Ausmaße an. Sie, die niemals gerne einen BH getragen hat, fängt an, sich in der Öffentlichkeit zu entblößen und von einem Leben als Pflanze zu träumen. Bis sich ihre gesamte Familie gegen sie wendet.

12,00  inkl. 7% MwSt.
Erscheinungsdatum 15.09.2017
Seitenanzahl 190
Verlag Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
Preis 12.00
ISBN 9783746633336

Volker Weidermann über das Buch
Tiere quälen, Tiere töten, Tiere kochen und Tiere essen. Und danach: Sex ertragen. Für alle, die anders leben wollen, hat Han Kang einen Vorschlag.

Als Yeong-Hye eines Nachts aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. Und sie beschloss noch in derselben Nacht, sich zurückzuverwandeln: in einen Menschen. Das ist die Geschichte einer jungen Frau, die in eine gewöhnliche, von ihrem Mann rundum dominierte Ehe eintritt und ein rundum an die Gesellschaft angepasstes Leben führt. Lächelt. Kocht. Schweigt. Sex erträgt. Tote Tiere zubereitet nach Rezept. Tote Tiere isst. Tote Tiere verdaut. So lebt sie hin.

Aber das ist nicht das Ende des Buches. Es ist der Beginn. Yeong-Hye hat eines Nachts diesen Traum von Blut und leidenden, gequälten, ermordeten Tieren und von sich selbst als Mörderin und Ungeheuer. Der Traum ist so intensiv und stark und unbezwingbar wahr, dass sie im Moment des Erwachens ihr Leben ändert. Um daraufhin nie mehr zurückzukehren in das, was sie vorher für die absolute, unumstößliche Normalität hielt. Ein ungeheurer Schmerz ist plötzlich in ihr und Geräusche, die nicht zu überhören, nicht zu ignorieren sind. »Schreie und Gebrüll« haben sich in ihr festgesetzt. »Und die kommen vom Fleisch. Ich habe zu viel davon gegessen. All die Seelen sind dort eingeklemmt, da bin ich sicher.«

Wenn uns das Leben wirklich etwas bedeutet, wenn wir harmonisch mit der Natur, in der Natur leben wollen, dann ist eine Ursünde unseres Lebens, dass wir Tiere quälen und töten, um sie zu essen.

Yeong-Hye wird keine Aktivistin, keine Kämpferin, keine Agitatorin des besseren Lebens. Sie hört einfach von einer Sekunde auf die andere auf, mitzumachen bei diesem Dings, das wir Normalität zu nennen uns angewöhnt haben. Sie ist eine zarte, stille, unbesiegbare Revolutionärin des »Nein«.

Der Gegner Yeong-Hyes ist unbezwingbar. Es ist die Welt, so wie sie ist. Sie unternimmt wundersame Ausreißversuche. Versuche, hier auf Erden ein harmonisches, mit der Natur verschmelzendes Leben zu führen. Im Zentrum des Buches stehen erotische Verschmelzungen von Menschen, die sich malerisch in Blumen verwandeln, in Schlingpflanzen, die sich vereinen, Menschen, die sich, wie in den frühromantischen Träumen des Novalis, einander anharmonisieren. Die blaue Blume nicht suchen, sondern selbst die blaue Blume werden.

Aber Han Kang ist keine schwärmerische Träumerin, sie ist eine schonungslose, radikale Realistin. Es geht nicht gut aus für Yeong-Hye. Wie sollte es auch? Ihr Gegner ist ja zu groß. Wer die Wahrheiten des Buches jedoch in aller Konsequenz weiterdenkt, der weiß: Am Ende sind wir es, die verlieren. Unsere Normalität. Unsere Welt.